Orientierung am Kind

Das Kind, das Jesus im Evangelium (Markus 9, 36 f.) so demonstrativ in die Mitte der Jüngerschar stellt, ist auch in die Mitte unserer Gemeinden gestellt. Jesus beendet mit dieser überraschenden Aktion einen recht albernen Rangstreit seiner Jünger. Wieviel Getue und eitle Selbstdarstellung würden in Wegfall geraten, hätten wir ein wenig mehr die kindliche Einfachheit vor Augen!

Unsere Welt ist die Welt der Erwachsenen. Wer etwas gelten will, muss clever sein, hart, überlegen. Eine Orientierung am Kind wird uns schwer, schon in äußeren Bereichen.

Zwei Drittel der Deutschen behaupten zwar von sich, sie seien kinderlieb, aber das Gegenteil ist der Fall. Es gibt bei uns eine ausgesprochene Kinderfeindlichkeit, zumindet ein gefährliches, gedankenloses Desinteresse am Kind: Familien mit Kindern bekommen nur schwer eine Wohnung. Mehrere Kinder zu haben, bekommt den Geruch des Asozialen. Die Last, „nur“ Mutter und Hausfrau zu sein – und sei es für ein paar Jahre – behindert das „Recht auf Selbstentfaltung“.

Natürlich sind Kinder auch eine Last. Sie bringen Sorgen und neue Verantwortung. Vor allem aber sind sie ein Wunder. Jedes Kind bedeutet ein Stück Zukunft, Hoffnung, Sinn und neues Leben. Doch es geht nicht nur um die äußere Sorge für unsere Kinder, um eine neue Wertschätzung dieses „Proletariats auf kleinen Füßen“ (J. Jesziorowski). Mehr noch: Jesus misst uns am Kind. Man könnte sich die Begebenheit des Evangeliums noch weitergeführt denken: Da rief Jesus ein Kind herbei, stellte es in ihre Mitte und sagte: Schau dir diese Erwachsenen an. So darfst du unter keinen Umständen werden, wenn du in das Reich Gottes kommen willst: so kompliziert, so pharisäerhaft, so machtbesessen, so hektisch, so resigniert, so friedlos, so verzweifelt, so isoliert, so verlogen, so gestresst, so geldgierig. – Der Erwachsene, der mit allen Wassern Gewaschene, als Antityp.

Aber Vorbedingung zum Eintritt in das Reich Gottes ist nicht einfach das Kind-Bleiben. Jesus verlangt nicht, dass wir infantil, unerfahren, unmündig, niedlich bleiben. Es geht um Kind-Werden im Sinne eines umfassenden Bezogenseins auf Gott.

Gemeint ist die totale Abhängigkeit des Kindes und die sich daraus ergebende Hilfsbedürftigkeit. So sind wir von Gott abhängig, angewiesen nur auf seine Güte. Gemeint sind die Arglosigkeit und Ehrlichkeit des Kindes, das keine Hintergedanken kennt. Seine Spontaneität, die sich faszinieren lässt. Seine Offenheit, die sich immer wieder überraschen lässt. Seine Fröhlichkeit, die „alle Sorgen auf den Herrn wirft“. Seine Armut, die weder auf Geld und Gut noch auf eigene Leistung setzt; die nicht sich selber zuschreibt, was doch Geschenk ist. Solche Menschen, klein und gering im Gegensatz zu den „Weisen und Klugen“ dieser Welt, preist Jesus selig.

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