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Predigt zum Sonntag "Okuli", 15.03.2020

Die Predigt von Pfarrer Sebastian Anwand finden Sie unten auch als PDF Datei zum Download.

Predigttext: Lukas 9, 57-602

57 Und als sie auf dem Wege waren, sprach einer zu ihm: Ich will dir folgen, wohin du gehst.

58 Und Jesus sprach zu ihm: Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.

59 Und er sprach zu einem andern: Folge mir nach! Der sprach aber: Herr, erlaube mir, dass ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe.

60 Aber Jesus sprach zu ihm: Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes!

61 Und ein andrer sprach: Herr, ich will dir nachfolgen; aber erlaube mir zuvor, dass ich Abschied nehme von denen, die in meinem Haus sind.

62 Jesus aber sprach zu ihm: Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.

 

I        Schwestern und Brüder in unserem Herrn Christus,

„Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“ – seit über 50 Jahren kennt in Deutschland jedes Kind diesen Satz. Das Heilmittelwerbegesetz von 1965 verlangt, Patienten und Verbraucher darauf hinzuweisen, dass beworbene Arzneimittel auch andere als die erhofften Folgen haben können. Aber wer liest sich schon solche langen, mehrmals gefalteten, klein beschriebenen Beipackzettel wirklich durch? Ich jedenfalls habe es noch nie getan!

Unser Predigttext ist mit so einem Beipackzettel vergleichbar, obwohl er wesentlich verbraucherfreundlicher ist, weil kürzer und prägnanter. Jesus macht deutlich, dass christliche Nachfolge und Leben Risiken und Nebenwirkungen haben.

Jesus spricht davon, was Menschen einkalkulieren müssen, die sich voll und ganz auf ihn und das Reich Gottes einlassen.

Jesu Leben ist heimatlos und wer ihm nachfolgt, der hat noch weniger eine Bleibe als die Füchse und Vögel. Wer in die Nachfolge gerufen wird, kann weder von seiner Familie Abschied nehmen noch den eigenen Vater begraben.

Ein Leben ohne Kompromisse beschreibt Jesus. Mit ein bisschen Sympathie und Unterstützung für seine Sache ist es nicht getan. Entweder man ist mit Haut und Haar dabei oder bleibt zurück.

II       Sieht so Werbung für die eigene Sache aus? Doch wohl nicht. Es hat den Anschein, als wolle Jesus seine Nachfolger ausbremsen und ihre guten Erwartungen als falsche Illusionen brandmarken. Will er nur eine Elitetruppe der Hartgesottenen um sich scharen, denen wirklich alles andere unwichtig ist; eine kleine Gruppe von Nachfolgern, die radikal mit ihrem Leben brechen?

Seine Worte haben nicht nur etwas von einer Packungsbeilage mit aufgelisteten Nebenwirkungen. Auf manchen Hörer werden sie die gleiche Wirkung haben wie ein abschreckendes Bild auf einer Zigarettenpackung.

Es käme für uns aber darauf an das Gute, das Hilfreiche, das Ehrliche aus Jesu Worten herauszuhören. Die Packungsbeilage soll uns nicht abschrecken, sondern aufklären. Jesus will nicht, dass wir die Nachfolge einstellen, sondern dass wir sie realistisch einschätzen und ihm getrost weiter folgen. So wie ein Medikament ja auch eingenommen werden will trotz Risiken und Nebenwirkungen.

III     Jesus ist auf dem Weg nach Jerusalem. „Es begab sich aber, als die Zeit erfüllt war, dass er hinweggenommen werden sollte, da wandte er sein Angesicht, stracks nach Jerusalem zu wandern.“ heißt es einige Verse zuvor (Lk 9,51). Was ihn am Ziel erwartet, wissen wir.

Auf dem Weg in die Hauptstadt kommt es zu drei Gesprächen:

Zunächst spricht ihn einer an, der ganz begeistert ist: „Ich will dir folgen, wohin du gehst!“

‚Super, solche Leute brauchen wir. Der hat es kapiert. Der ist gut unterwegs.‘ Aber Jesus ist zurückhaltend. „Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.“ Er fragt nach: Willst du wirklich dein Haus aufgeben; deinen Besitz, der dich schützt, hinter dir lassen? Hinter der Antwort Jesu steht die Frage:

Kannst du ohne deine Sicherheiten leben und mir folgen? Meine Nachfolge ist keine Einbahnstraße in Richtung Glück und Wohlstand. Ich bin unterwegs nach Jerusalem. Dort erwerbe ich kein Eigenheim, sondern werde meinen Auftrag erfüllen. Dort gibt es für mich nur den Hügel Golgatha, auf dem mein Kreuz errichtet werden wird. Wer mich auf diesem Weg begleiten will, der kann das nicht aus eigener Kraft tun, der kommt mit Begeisterung nicht weit. Sondern da braucht es mehr. Da braucht es Gottes Geist, der unseren Glauben fest und stark macht und aus der Komfortzone herausruft.

Wie viele Menschen sind schon mit Begeisterung für die Sache Jesu gestartet und sind von Gegenwind gestoppt worden und dann wieder umgekehrt. Begeisterung allein reicht nicht. Sie trägt nicht weit.

Jesu Worte sollen uns nicht abhalten ihm zu folgen. Und als Christen ist auch nicht das Leiden mit Christus das eigentliche Ziel, unsere Bestimmung. Bei Christus geht es uns gut. In seiner Nähe zu sein ist wunderbar uns ist besser als das angenehmste Haus. Es ist nicht der der entschiedenste Christ, der am meisten leidet.

Aber Nachteile und auch Ablehnung können sich in der Nachfolge einstellen. Es ist auch für uns gut das in den Blick zu bekommen. 

IV     Jesus wendet sich jetzt einem zweiten Mann zu. Diesmal spricht er ihn an und ruft ihm zu. „Folge mir nach!“ Das ist von Bedeutung! Zur Nachfolge Jesu kann man sich nämlich nicht selber entscheiden und durchringen, wie der erste Mann. Nachfolge kommt durch den Ruf Jesu zustande. Zum Nachfolger kann man sich nicht selbst erklären. Man wird dazu von Jesus gerufen.

Wir zum Beispiel sind in unserer Taufe in die Nachfolge gerufen worden. Da hat alles begonnen. Und seitdem erreicht uns Jesu Ruf immer wieder. Er ruft ja nicht nur einmal, sondern oft. Und immer wieder, jeden Tag stehen wir vor der Entscheidung ihm zu folgen oder nicht.

Ich werde immer skeptisch, wenn mir jemand berichtet, dass es den einen Tag in seinem Leben gab, an dem er Jesu Ruf gehört hat und an dem er beschlossen hat sein Jünger zu sein. Wir stehen jeden Tag vor der Wahl unsere eigenen Wege zu gehen oder ihm zu folgen. Nicht immer entscheide ich mich für ihn; sehr oft sogar ausdrücklich gegen seinen Weg. Das ist eine Kraft in uns, die uns nicht bei ihm haben will. Aber unsere Taufe ist wirksam und Gott lenkt Menschen immer wieder so, dass sie umkehren auf seinen Weg.

Dem angesprochenen Mann fällt es hier ausgesprochen schwer sofort dem Ruf zu folgen und mit Jesus mitzugehen. Er weicht aus: Seinen Vater müsse er zuvor noch begraben. Ja, das muss Jesus doch verstehen. Das ist eine religiöse Pflicht, die nur ein schlechter Sohn vernachlässigen würde. Er kann doch gerade jetzt seine Familie nicht im Stich lassen. Doch Jesus sagt: „Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes.“

Wer in dieser Situation, dass Jesus ihn ruft, den Friedhof vorzieht, der steht dort vor dem Ende des Lebens. In Jesu Nachfolge geht er aber dem Reich Gottes, dem Leben entgegen. Wie bei dem ersten Gespräch schaut Jesus hier voraus auf seinen eigenen Weg. Er schaut über Golgatha und das Kreuz hinweg zum Ostermorgen. Hierhin will er seine Nachfolger mitnehmen und davon sollen sie reden: dass Christus auferstehen wird und den Tod besiegt.

Die Beerdigung des Vaters ist letztlich nicht so wichtig wie die Verkündigung der Auferstehung. Weil Gott seinen Sohn Jesus nicht im Grab lässt, können wir an den Gräbern vom Leben reden. Dem Tod kommt dann nicht mehr die Bedeutung zu, die wir ihm geben.

Heute erleben wir solche Situationen zuhauf:

Es ist eigenartig, wie Menschen die Gräber ihrer Verstorbenen hegen und pflegen und treu auf alle möglichen Beerdigungen gehen und ihr Beileid ausdrücken, und dann wieder nach Hause gehen. Aber der Feier der Auferstehung Jesu, den Gottesdienst, seinen Ruf an seinen Tisch und in seine Gemeinschaft wollen sie nicht hören, sondern bleiben fern und wollen auch sonst vom Reich Gottes nicht viel wissen. Viele Menschen hören Gottes Wort nur auf Beerdigungen. Wie traurig das ist!

Wir haben eine ausgeprägte Sterbe- und Beerdigungs- und Grabpflegekultur entwickelt, aber das Leben im Reich Gottes kommt darin viel zu selten vor. „Die Toten ihre Toten begraben lassen“ sagt Jesus.

Das heißt im Tod verhaftet bleiben, bei Grabpflege. Aber in der Nachfolge Jesu leben wir jetzt schon in der Gewissheit des ewigen Lebens. Der Tod hat nicht mehr das letzte Wort. Dazu ermutigt er den Mann, den er in seine Nachfolge ruft. Dein Vater ist tot. Du kannst jetzt nichts mehr für ihn tun, denn er ist in Gottes Hand. Für dich ist jetzt nicht das Wichtigste ihn zu begraben, sondern vom Reich Gottes zu erzählen, vom Leben nach der Auferstehung, vom Frieden mit Gott und einer wunderbaren Zukunft!‘

V      Ein drittes Gespräch über die Nachfolge wird wieder von einem Mann begonnen, der von sich aus Jesus anspricht: „Herr, ich will dir nachfolgen; aber erlaube mir zuvor, dass ich Abschied nehme von denen, die in meinem Haus sind.“

Der Mann hat kapiert, worum es geht. Er weiß, dass er seine Familie verlassen muss. Deshalb bittet er noch um Zeit um seine Angelegenheiten zu regeln. Es täte im Leid sich einfach so mit Jesus davonzustehlen…

Aber auch dafür hat Jesus kein Verständnis. „Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.“

Zur Zeit Jesu wurde mit Ochsen gepflügt. Der Bauer musste den Pflug in den Boden drücken, damit die Furche die richtige Tiefe bekam. Das war schwere Arbeit, die den ganzen Mann erforderte. Er musste dabei nach vorne schauen um Felsbrocken zu entdecken, die im Acker liegen und womöglich die Plugschar beschädigen und verbiegen konnten.

Den Zuhörern war klar: Wer pflügt, muss nach vorne schauen, ansonsten ist er ungeschickt.

So, sagt Jesus, ist es im Glauben und in meiner Nachfolge auch. Zurückschauen geht nicht. Wer mit seinen Gedanken und Sehnsüchten im alten Leben ist, der wird im Reich Gottes nicht viel sehen.

Bei uns ist es bestimmt nicht die Familie, von der wir uns verabschieden müssen und wollen, um Jesus zu folgen. Aber einen wehmütigen Blick zurück kennen wir auch. Der Blick in vergangenen Zeiten, in denen die Gottesdienste voller waren, die Jugend noch interessierter und die christlichen Traditionen noch prägender waren, und die Kirche allgemein noch einen besseren Stand hatte. Der Blick nach vorne ist auch in unseren Gemeinden vielfach abwartend vorsichtig und auch sorgenvoll. Ich möchte nicht den Blick vor der Realität verschließen oder schönreden, was nicht schönzureden ist. Auch mir bereiten der Traditionsabbruch, die schwindende Prägekraft von Kirche und die zunehmende Entfremdung vieler Schwestern und Brüder Sorgen.

Doch kann es sein, dass Jesus auch uns im Blick hat, wenn er sagt: „Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes“?

Hören wir diese Worte doch als Ermutigung, uns nicht von einem Negativstrudel nach unten ziehen zu lassen, sondern die Hand an den Pflug zu legen und vertrauensvoll die Furchen zu ziehen, in denen der Same des Glaubens wachsen kann.

Das Feld wird Gott bestellen, er wird nach seinem Willen Regen und Sonne schenken.

VI     Schwestern und Brüder in Christus Jesus, die Reaktionen Jesu auf die drei Männer sind eine deutliche Packungsbeilage. Risiken und Nebenwirkungen werden nicht verharmlost.

Der, der hier spricht, ist doch aber nicht irgendein Arzt oder Apotheker, sondern unser Herr und Heiland Jesus Christus. Sein Ruf in die Nachfolge ist ein befreiender Ruf: befreiend von alten Abhängigkeiten, ja sogar befreiend vom Tod. Ob die drei Männer ihm gefolgt sind? Wir wissen es nicht. Gott sei Dank, dass wir auf dem Weg sind und nach seiner Gnade auch bleiben.

Amen

Pfarrer Sebastian Anwand

 Verwendete Literatur u.a.: Tobias Geiger, Risiken und Nebenwirkungen, in: Zuversicht und Stärke 2/2020, S. 62ff; Matthias Wüthrich, Folge mir nach, in: GPM 2/2020, S. 204ff.

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